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59. B e r l i n a l e
 
    Interview mit Christian Petzold  
christian
Christian Petzold ist am 14. September 1960 in Hilden geboren. 1981 zieht er nach Berlin und studiert an der Freien Universität Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach seinem Abschluss im Jahr 1989 studiert er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb).

Nach Kurzfilmen, darunter "Süden" und "Das warme Geld", dreht Petzold 1994 mit "Pilotinnen" seinen Abschlussfilm an der dffb. Sein Film "Die Innere Sicherheit" (2000) wurde mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet. Im Jahr 2005 nahm Christian Petzolds Film "Gespenster" (2004) am Wettbewerb der Berlinale teil.
 
Ich glaube das wir ein ungeheuer starkes Fernsehen haben
und aus dem Grund ein schwaches Kino.


MMM Wie wird dein neuer Film heißen?

CP Der TOTE MANN. Es ist eine Auftragsproduktion, d.h. die gesamten Mittel kommen vom ZDF. Die geben den Auftrag einer Produktionsfirma, bei diesem Film ist es Teamworks von Nico Hoffmann und Bettina Reitz. Mit Bettina Reitz verbindet mich eine lange Freundschaft und ich habe mit ihr schon mal einen Film gemacht.

MMM Ist der TOTE MANN nach der INNEREN SICHERHEIT bewusst ein Fernsehfilm geworden ?

CP Es war nicht ganz zufällig wenn ich ehrlich bin. Die Finanzierung der Inneren Sicherheit war eigentlich eine einzige Tragödie, weil es fast drei Jahre gedauert hat. Ich hatte nicht vor das ein weiteres Mal zu erleben, obwohl das mit dem Filmpreis schneller gegangen wäre. Ich habe schon während des Schnitts zur inneren Sicherheit das Drehbuch...

MMM Wofür es ja ein Schnittpreis gab...

CP ...das Projekt zum toten Mann angeschoben, wie man es in der jämmerlichen Managersprache so schön nennt Man kann es ja so unterscheiden, da es kein Kino in der Bundesrepublik gibt, haben bestimmte Filme einfach keine Produktionsumgebung. Die sind völlig alleine gelassen und diese unglaubliche Einsamkeit der Filme strahlt auch auf die Produktionsverhältnisse dieser Filme ab. Wir waren rund um die Produktion der inneren Sicherheit sehr einsam. Mich interessieren Bankräuber, Seitensprünge oder Menschen die aus Ihrer Bourgeoisieklasse ausbrechen, wie in frühen Chabrolfilmen. Diese Sachen gibt es im deutschen Kino nicht mehr, das ist alles ins Fernsehen gerutscht. So habe ich die Umgebung des Fernsehens gesucht, da wo die Filme noch teilweise aufgehoben sind.

MMM Woran liegt es, das Filme wie DER SCHUH DES MANITU in Deutschland großen Erfolg haben. Filme wie AMÉLIE aber in Deutschland so gut wie nicht produziert werden. Traut sich hier keiner an solche Stoffe ran?

CP AMÉLIE hat auch was mit Paris zu tun und es gibt in Frankreich jedes Jahr viele Filme, die ihre gesamte Kraft aus der Stadtgeschichte von Paris beziehen und so eine Stadt haben wir in Deutschland nicht mehr.

MMM Auch nicht Berlin?

CP Da muss man noch dran arbeiten. Wir leben seit zwölf Jahren in einer wiedervereinigten Stadt und alle Filme die in Berlin spielen haben ihre Referenz in den achtziger Jahren. FEUER UND FLAMME oder DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE sind überwiegend Filme die etwas mit den achtziger zu tun haben, und nicht in dem heutigen Berlin spielen. Und in LOLA RENNT laufen sie ja nur durch pittoreske Ansichtskarten und der Film hat mit der Stadt eigentlich gar nichts zu tun. Ein weiterer Grund ist bestimmt das eine gewisse Leichtigkeit mit der Vernichtung des deutschen Judentums abhanden gekommen ist und drittens glaube ich das wir ein ungeheuer starkes Fernsehen haben und aus dem Grund ein schwaches Kino.

MMM Gibt es Menschen mit denen du gerne arbeitest oder auch eine Gruppe mit der du von Produktion zu Produktion ziehst?

CP Wenn man sich die Credits im Abspann anschaut dann sind sie eigentlich seit dem ersten abendfüllenden Film bis auf ein paar Leute identisch. Die Regieassistenten bleiben oft nur für ein, zwei Filme. Dann wollen Sie eigene Filme machen oder man hat sich verkracht. Ich habe auch im Laufe der Zeit, wie es John Ford genannt hat eine Stock-Company d.h. eine Gruppe von festen Schauspielern. Es kommen zwar immer wieder neue hinzu und andere tauchen dann längere Zeit nicht auf, aber das hängt nicht mit denen zusammen. Ich habe mit allen Schauspielern noch heute ein gutes Verhältnis, und schreibe auch richtige Sachen für diese Schauspieler/innen.

MMM Würdest du sagen das du Autorenfilme machst. Drehbuch und Regie sind bei deinen Filmen immer identisch?

CP Ich schreibe mit Harun Farocki jedes Buch zusammen. Wir sind seit Mitte der achtziger Jahre ganz eng befreundet, Er war früher mein Dozent und Mitfußballer bei Tasmania.
Autorenfilm war ja eine Politik Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Die haben damals im völlig entfremdeten Kino des Hollywoodstudiosystems Handschriften entdeckt. Z.B. Hitchcock, der unter knallharten Produktionsbedingungen geschafft hat, einem Film einen ganz besonderen Stil zu geben. Das ging in die Autorentheorie ein. Die Politik der Autorenfilmer war, das man in der gesamten Arbeit an dem Film, bis zum Feinschnitt, die Autonomie behält. Und die habe ich immer. Aus dem Grund allein bin ich wohl Autorenfilmer. Ich glaube, das ist meine Referenz an das Nouvelle Vague Kino.

MMM Gibt es Autoren die sich dennoch an dich als Regisseur wenden?

CP Das Problem ist, das ich unheimlich gerne schreibe

MMM Man hat also keine Chance dir ein Script zuzuschicken?

CP Das was ich nicht gerne sehen würde, kann ich auch nicht verarbeiten. Büchern die ich zugeschickt bekommen habe, lese ich zum Teil. Nur die umzuarbeiten macht mehr Arbeit, als selbst eins zu schreiben.

MMM Es ist wahrscheinlich einfacher seine eigenen Ideen umzusetzen?

CP Ich bewerbe mich ja nicht mit meinen Drehbüchern. Höchstens bei mir selber. Ich schreibe ein Drehbuch wie ein Architekt, der ein Haus baut. Manchmal wünsche ich aber trotzdem, das man ein tolles Buch hat, was man nicht selber geschrieben hat.

MMM Gibt es den Kick wo du sagst daraus lässt sich was machen?

CP Ich habe das mal versucht zu überlegen. Alle Regisseure und Regisseurinnen können immer so unheimlich gut erklären wann dieser Kick da war. Genauso wenig wie man sagen kann wann habt ihr euch für das Kind entschieden. Das gibt es doch nicht. Die Ursachen sind doch meistens sehr komplex. Ich habe manchmal nachträglich für irgendwelche Pressemappen die Kicks erfunden.Meistens habe ich mit was ganz anderen angefangen und das hat sich dann so entwickelt.

MMM Recherchiert du alleine für deine Filme?

CP Ich recherchiere nicht viel. Es gibt da verschiedene Herangehensweisen, Freunde von mir haben ganze Zettelkästen zu Hause und es dauert unglaublich lange, ein, zwei Jahre. Ich recherchiere eher ohne Ziel. Ich weiss noch bei der inneren Sicherheit hatte ich eine Geschichte, die mich als Kind schwer beeindruckt hat. Eine Geschichte von Alfred Andersch, SS-Offiziere die im Grenzgebiet von Deutschland als Untote weiterlebten und dort zu Schmugglern wurden. Das waren Schattenwesen die in alten Bunker rumliefen. Dann waren da noch Seefahrer und ein Schiffbruche und irgendwie in diesem Gespensterzeug kam der Film von Kathrin Biggelow.
Dann habe ich auf dem Seminar von Harun von dem Text von Andersch erzählt von den Untoten, die anders sind als die Untoten bei uns in der deutschen Mythologie. In der geht es immer darum sich in Bergen aufzuhalten oder eingegraben zu sein. In den USA spielt es immer in Wüsten und Weiten. Der deutsche Terrorismus hat mit solchen Erscheinungen zu tun. Das war 1993, als ich darüber nachgedacht habe. Aber ich wollte daraus keinen Film machen, sonder ich habe ein Essay darüber geschrieben. Daraus ist dann irgendwann mal ein Exposee entstanden. 1995 habe ich es eingereicht und bekam dafür auch eine Förderung und konnte damit die Familie wieder ein halbes Jahr ernähren.

MMM Der Film ist 1995 entwickelt worden. Im Jahre 2001 steht er plötzlich neben anderen Filmen, die sich um die RAF drehen und erscheint unheimlich aktuell. Gehört man dann plötzlich zu einer Gruppe Künstlern, die Bescheid wissen was angesagt ist?

CP Es gibt von Walter Benjamin ein Text, da geht es um den Surrealismus. Er beschreibt folgendes: In Europa werden an sieben Stellen gleichzeitig eine Bombe gezündet, obwohl die Leute alle nichts voneinander wissen. Es gibt Korrespondenzen die sich unseren Medien entziehen. Eine Art und Weise von Wahrnehmung verschiedener Menschen die gar nichts voneinander wissen und es dann zeitgleich zur Realisierung kommt. Im Kino sind die Gefühle sehr viel langsamer als im Fernsehen Eine andere Art von Zeitlichkeit. Das Kino steht nicht so unter Aktualitätsdruck. Das Fernsehen verbrennt seine Aktualitäten sofort.

MMM CNN ist zur Zeit der wohl schnellste Verbrennungsmotor in Sachen Nachrichten...
Wenn man jetzt in eine Suchmaschine den Begriff innere Sicherheit eingibt dann...

CP ... hat man ganz schön viele Treffer

MMM Aber die wenigsten davon gehen deinen Film an

CP das war vor einen halben Jahr noch anders.

MMM Wir haben es heute mal gemacht und der erste Link war: "Atomanlagen kaum noch gegen Terror geschützt" und so geht es dann weiter. Die Innere Sicherheit ist ein inflationär gebrauchter Begriff geworden.

CP Für mich war der Begriff innere Sicherheit eigentlich ein Begriff aus der Vergangenheit. Ich bin wohl auch dem Glauben aufgesessen, das der Begriff irgendwann mal sterben wird, dass sich eine andere Form von offenem Staat ergibt. Aber im Angesicht des entsetzlichen Aktes am 11.September wird wohl die ganze Mottenkiste der Nachkriegspolitik und Symbolik aufgewärmt. Deshalb bleibt der Begriff innere Sicherheit doch eher ein nostalgischer Begriff. Ich habe lange beim ersten Verleih um den Titel kämpfen müssen, aber die sind dann Konkurs gegangen. Der Film war dann kurz davor eingestampft zu werden. Zum Glück fand sich dann jemand der uns aus dem Vertrag ausgelöst hat.

MMM wir bedanken uns für das Gespräch
 

Von Andreas Schäfer für MMM11/2001
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