Die
                                          Innere Mongolei ist ein Autonomes Gebiet
                                          im Norden der Volksrepublik China und
                                          macht ca. 12% des Landes aus. Von den
                                          49 Minderheiten, die in diesem weitläufigen
                                          Land leben, stellen die Mongolen die
                                          größte ethnische Gruppe. Mongolen sind
                                          bekannt für ihre Kraft und Stärke und
                                          ihre ungehobelte Persönlichkeit.
                                          
Die Mongolen sind ein Nomadenvolk,
                                            immer unterwegs auf der Suche nach
                                            Wasser und Weideland für ihre Schafe
                                            und Ziegen. Dieses traditionelle
                                            Leben besteht bis zum heutigen Tag.
                                            In einigen Teilen der Inneren Mongolei
                                            leben die Mongolen in der unfruchtbaren
                                            Steppe wie ihre Vorfahren, in den
                                            aus Holz und Teppichen errichteten
                                            Hütten. Die runden Hütten schützen
                                            sie vor den rauen Winden und vor
                                            allem sind sie durch ihre Leichtigkeit
                                            gut zu bewegen. Lammfleisch und Butter
                                            sind Hauptbestandteil der täglichen
                                            Nahrung. Darüber hinaus trinken die
                                            Mongolen Milch, Tee und Alkohol,
                                            um dem kalten Wetter zu trotzen.
                                          
                                          
                                          
                                            
                                                | 
                                                | 
                                            
                                          
                                          
                                            
                                            WANG Quan’an, Regisseur
                                            
                                          
                                            
Meine
                                          Mutter wurde nahe des Drehorts in der
                                          Inneren Mongolei geboren. Ich habe
                                          darum die Mongolen, ihre Lebensart
                                          und ihre Musik schon immer sehr gern
                                          gemocht. Als ich erfuhr, dass die gewaltige
                                          Ausbreitung der Industrie die Steppe
                                          immer wüstenähnlicher werden lässt
                                          und die örtliche Verwaltung die Hirten
                                          zwingt, ihre Weidegründe zu verlassen,
                                          beschloss ich, einen Film zu drehen,
                                          der alles dies festhält, bevor es endgültig
                                          verschwindet. Meine Filme spiegeln
                                          alle die soziale Realität Chinas wider.
                                          Ich drehe solche Filme, weil es wenige
                                          Filme gibt, die das Thema behandeln.
                                          Zur Zeit handeln kaum noch chinesische
                                          Filme von der wirklichen chinesischen
                                          Gesellschaft und dem realen Zustand,
                                          in dem sich die chinesische Bevölkerung
                                          befindet, daher ist dieser Film eine
                                          Ausnahme.
                                          
                                          
WANG
                                      Quan’an hat bisher drei Filme gedreht,
                                      die alle die Situation von Frauen thematisieren.
                                      Seiner Meinung nach haben Frauen ,,mehr
                                      Fingerspitzengefühl. Ihre Reaktion auf
                                      einen Vorfall trifft oft den wesentlichen
                                      Punkt der aufgeworfenen Fragen. Ich habe
                                      vollen Respekt vor Frauen.“ Schon während
                                      seines zweiten Films THE STORY OF ERMEI
                                      ist ein internationales Drehteam um WANG
                                      Quan’an entstanden. Seine Hauptdarstellerin
spricht fließend Englisch und Französisch und
hat bereits mit ausländischen Regisseuren zusammengearbeitet.
Der Kameramann für THE STORY
OF ERMEI und TUYAS HOCHZEIT war Lutz Reitemeier
aus Deutschland (Kamera u.a. bei Die chinesischen
Schuhe, 2004, Die Spielwütigen, 1997–2004,
Die Überlebenden, 1994–1996). Er hat sich WANGs
Film LUNAR ECLIPSE angesehen und entschied
sich zur Zusammenarbeit.
                                      
                                      Lutz Reitemeier (Kamera)
                                      
                                      
                                      Herr
                                      Reitemeier, ein deutscher Kameramann dreht
                                      in
                                      einem chinesischen Team mit mongolischen
                                      Laiendarstellern
                                      einen Film – sind das nicht ein wenig viele
                                      Kulturschocks auf einmal?
                                      
                                      Lutz Reitemeier: Es stimmt schon, dass
                                      dabei immer
                                      wieder absurde Situationen entstehen, mit
                                      denen
                                      man überhaupt nicht rechnet. Aber zum Glück
                                      habe
                                      ich einen Mitarbeiter aus Deutschland,
                                      der bis jetzt
                                      bei allen meinen China-Filmen als Oberbeleuchter
                                      dabei war. Es ist wichtig, dass man in
                                      der Fremde
                                      eine Vertrauensperson dabei hat, mit der
                                      man auch                              
                                       mal gemeinsam lachen kann.
                                       
                                       Was reizt Sie an China?
                                       
                                       Die Gegensätze. Die Glaspaläste und die
                                      Wanderarbeiter.
                                      Die Metropolen und das bitterarme Land.
                                      Der perlmuttgraue Himmel und die roten
                                      Schriftzeichen.
                                      Und dass die Leute dort so viel Kraft haben.
                                      Viele sind wie die Hauptfigur Tuya aus
                                      unserem
                                      neuen Film. Sie sind auf eine phantastische
                                      Art
                                      eigensinnig.
                                      
                                      Wie kommunizieren Sie, wenn Sie in China
                                      drehen, mit
                                      dem Regisseur, den Darstellern, dem gesamten
                                      Team?
                                      
                                      Ich spreche kein Chinesisch, wir haben
                                      aber immer
                                      sehr gute Übersetzer vor Ort, die ich mir
                                      im Vorfeld
                                      selbst aussuche. Das sind meistens Studenten,
                                      die
                                      Englisch nicht in der Schule, sondern über
                                      untertitelte
                                      Hollywood-Filme gelernt haben und sich
                                      sehr in die westliche Kultur hineinträumen.
                                      Das meine ich durchaus positiv!
                                      
Und das funktioniert?
                                      
                                      Bei meinem ersten Spielfilm mit WANG Quan’an
                                      war ich noch sehr aufgeregt und hatte Angst,
                                      dass
                                      ich komplett scheitern würde. An deutschen
                                      Filmsets
                                      wird viel besprochen. Erst in China habe
                                      ich gemerkt,
                                      dass das gar nicht nötig ist. Und dass
                                      Filmsprache
                                      viel universeller ist, als man denkt. WANG
                                      Quan’an arbeitet sehr dokumentarisch, sehr
                                      viel mit
                                      Laiendarstellern. Man kann also weniger
                                      planen als
                                      bei einer Spielfilmproduktion.
                                      
                                      Sie meinen, sonst sind chinesische Spielfilmproduktionen
                                      besser durchgeplant?
                                      
                                      Überhaupt nicht. Anders als in Deutschland
                                      gibt es
                                      fast keine Dispo. Man muss sich einfach
                                      fallen lassen
                                      und akzeptieren, dass man manchmal erst
                                      spät
                                      abends erfährt, wie es am nächsten Morgen
                                      weitergeht
                                      und dass man manchmal auch nur indirekt
                                      von
                                      Änderungen erfährt.
                                      
                                      Das klingt nach Stress.
                                      
                                      
                                      Andererseits gibt es einem viel Freiheit.
                                      Wenn bei einem
                                      Dreh in China etwas schiefläuft, ist das
                                      kein so
                                      großes Problem wie vielleicht in Deutschland,
                                      wo jeder
                                      weitere Drehtag eine finanzielle Katastrophe
                                      ist.                                  
                                       
                                       
                                       Filme zu drehen ist in China also günstiger?
                                      
                                       Die Löhne in China sind ja sehr niedrig.
                                      Also können
                                      chinesische Produktionen ganz anders mit
                                      der
                                      Ressource Arbeitskraft umgehen. Die Teams
                                      sind
                                      riesig. Überhaupt empfinde ich das ganze
                                      chinesische
                                      Filmwesen noch immer als sehr sozialistisch.
                                      Da
                                      müssen zum Beispiel morgens alle Busse
                                      eine Stunde
                                      warmlaufen – CO2-Ausstoß hin oder her.
                                      Dann kommen
                                      die Chauffeure, dann kommt nach und nach
                                      das Team, und nach einer weiteren halben
                                      Stunde
                                      bis Stunde kommt der Regisseur und es kann
                                      endlich
                                      losgehen. Es müssen auch immer alle Busse
                                      mit
                                      dem gesamten Equipment und dem vollständigen
                                      Team mitfahren. Dabei ist es ganz egal,
                                      ob es an diesem
                                      Tag womöglich nur um eine Landschaftsaufnahme
                                      geht.
                                      
                                      China ist ein Filmland, es gibt dort viele
                                      gute einheimische
                                      Kameraleute, und auch im Bereich des Dokumentarfilms
                                      ist in China seit den 90er-Jahren viel
                                      passiert.
                                      Setzt Sie das als Fremder nicht unter Leistungsdruck?
                                      
                                      Der Dokumentarfilm ist in China noch nicht
                                      so alt
                                      wie im Westen, und es gibt nicht sehr viele
                                      Kameraleute
                                      wie mich, die sowohl Dokumentarfilme drehen
                                      können als auch Spielfilme. Auch das Cinema
                                      direct
                                      oder das Cinéma vérité ist erst in den
                                      letzten 10, 15
                                      Jahren in China entdeckt worden. Deshalb
                                      sind die
                                      Filmemacher dort noch sehr auf der Suche.
                                      WANG
                                      Quan’an wird sich etwas dabei gedacht haben,
                                      mit
                                      mir arbeiten zu wollen. Ich fand es auch
                                      beruhigend,
                                      dass er auf mich zukam, ich mich also,
                                      um in China
                                      arbeiten zu können, niemandem aufdrängen
                                      musste.                                      
                                      
                                      Warum, glauben Sie, hat sich WANG Quan’an
                                      für Sie entschieden?
                                      
                                      
                                      Ich komme vom Dokumentarfilm
                                      her, und obwohl
                                      ich im Alltag eher schüchtern
                                      bin, habe ich beim
                                      Drehen wenig Scheu, mit der Kamera nah
                                      an Menschen
                                      heranzutreten. Die Kamera ist für mich
                                      wie
                                      ein Schutzschild. Außerdem geht es wohl
                                      auch um
                                      einen Technologie- und Know-how-Transfer.
                                      Es ist
                                      schon oft passiert, dass es ein chinesischer
                                      Film
                                      nicht durch die Zensur geschafft hat,
                                      wenn die technische
                                      Qualität nicht stimmte – eine einfache
                                      Begründung,
                                      die es einem erspart, über Inhalte reden
                                      zu müssen. Ich vermute, dass das auch
                                      ein Grund
                                      dafür war, warum WANG Quan’an mit mir
                                      arbeiten
                                      wollte und weiterhin mit mir arbeiten
                                      will. Aber so
                                      richtig offen ausgesprochen wurde das
                                      nie. Wie so
                                      vieles in China.
                                      
                                      Das Interview wurde geführt von Susanne
                                      Messmer,
                                      Freie Journalistin