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Der
Mann ohne Vergangenheit
Interview mit Aki
Kaurismäki Cannes 2002 |
Er war der Liebling des Festivals: der Finne Aki Kaurismäki mit
seinem neuesten Werk "Der Mann
ohne Vergangenheit". Der lakonische Witz und die rührende
Liebesgeschichte wurden mit dem
Großen Preis der Jury und dem Darstellerinnenpreis für
Kati Outinen belohnt.
Blickpunkt:Film: Wieder kehren Sie zu den Chancenlosen einer
Ellenbogengesellschaft zurück. Was mögen Sie an diesen Figuren?
Aki Kaurismäki: "Der Mann ohne Vergangenheit"
ist der zweite Teil einer Trilogie über das
gegenwärtige Finnland, das ich schon seit den frühen achtziger
Jahren porträtiere. Irgendjemand muss doch erzählen, in
welchem Schlamassel die Menschen stecken. Ich komme selbst aus dem
Unterschichtsmilieu und weiß, wovon ich rede, wie die Gesellschaft
mit diesen Leuten umspringt. Warum sollte ich einen Film über
reiche Parasiten machen, die dummes Zeug quatschen und deren einziges
Problem darin liegt, das richtige Hemd zum Ausgehen zu finden, damit
sie angeben können? Da würden mir keine Dialoge einfallen.
BF: Und um was geht es im dritten Teil?
AK: Um Einsamkeit. Nicht die übliche Einsamkeit zwischen
Paaren, sondern um die Einsamkeit einer Frau. Die Hauptrolle übernimmt
erneut Kati Outinen.
BF: Sie leben in Portugal und drehen Ihre Filme in Finnland.
AK: Im Süden genieße ich die Sonne. Aber zum Filmemachen
komme ich wieder nach Hause zurück. Ich habe in London "I
Hired a Contract Killer" gedreht, in Paris "Das Leben der
Boheme" und bin mit den Leningrad Cowboys durch ganz Europa gezogen.
Inzwischen weiß ich, dass ich meine Filme in Finnland machen
muss, das einzige Land, das ich wirklich verstehe. Da entwickle ich
ein ganz anderes, viel näheres Gefühl für meine Figuren.
BF: Sie sind für Ihre etwas unkonventionelle Art des Arbeitens
berüchtigt.
AK: Ich habe zwar nicht den Ruf, präzise zu sein, bin
aber sehr präzise. Für mich gibt es zwei Arten zu arbeiten.
Entweder improvisiere ich alles am Set in der letzten Minute oder
ich schreibe das Drehbuch bis ins kleinste Detail. Das war hier der
Fall. Jeder Dialog, jede Einstellung war vorgegeben.
BF: Sie produzieren auch Ihre Filme, warum tun Sie sich das
an?
AK: Niemand gibt mir freiwillig Geld. Aber ich klage nicht
und bin froh, wenn man mich zufrieden lässt. Ich werfe das Geld
auch nicht zum Fenster hinaus. Bei einem hohen Budget müsste
ich ein großes Team organisieren, das würde mich in den
Wahnsinn treiben. Wenn ich mal ein paar Dollar übrig habe, schicke
ich die nach Kurdistan, damit dortige Regisseure Filme machen können.
Ich arbeite billig und schnell. "Der Mann ohne Vergangenheit"
kostete nur 1,5 Mio. Dollar, da steigen Koproduzenten leichter ein.
BF: Wie Karl Baumgartner von Pandora?
AK: Mit ihm hat sich im Laufe der Jahre eine Freundschaft entwickelt.
Er war der Erste, der das Risiko
auf sich nahm und mit "Schatten im Paradies" einen finnischen
Film ins Ausland brachte, der mir die Tür für den internationalen
Markt öffnete. Bis dato existierten weder Finnland noch der finnische
Film für den Rest Europas. Die meisten wissen heute noch nicht,
wo Finnland überhaupt liegt.
BF: Wie stehen Sie zu den digitalen Techniken, die hier in
Cannes gefeiert werden?
AK: Wer nichts zu sagen hat, versteckt sich gern hinter Technik.
Junge Regisseure sind oft weniger an Inhalten interessiert, stürzen
sich lieber auf digitale Neuheiten und denken nur daran, in welchem
Outfit sie bei der Oscar-Gala auftreten. Ich hasse diesen ganzen Hype
um Preise und den Aufmarsch auf roten Teppichen. Ich bleibe meiner
alten Filmkamera treu, die funktioniert schon seit Jahrzehnten.
BF: Was heißt Kino für Sie?
AK: Ich habe da so eine spezielle Theorie. Alles, was man benötigt,
sind ein Mann und eine Frau, die gegen die Wand stehen, und Licht
und Schatten. Dann nimmt man die Frau aus dem Bild, es bleibt der
Mann, eine Wand, Licht und Schatten. Dann entfernt man den Mann, es
bleiben Wand, Licht und Schatten. Man nimmt die Wand weg, es bleiben
Licht und Schatten. Dann entfernt man das Licht. Es bleibt der Schatten.
Wenn man den auch noch entfernt, ist das Leben weg. Thats the
end, my friend.
BF: Bedeutet ein Preis in Cannes für Sie Erfolg?
AK: Erfolgswahn ist typisch männlich. Männer wollen
Macht und Frauen leiden lassen. Für mich heißt Erfolg,
sich selbst nicht zu sehr zu hassen.
BF: Wie lange arbeiten Sie an Ihren Projekten?
AK: Ganz unterschiedlich. Vor drei Jahren wollte ich eigentlich
mit dem Filmen aufhören. Aber zum
Sterben war es mit 42 noch zu früh. Ich bin zu faul, den Job
zu wechseln. Ich kann auch nichts anderes, also mache ich weiter.
Um auf dem Bau zu arbeiten, ist es zu spät.
Quelle: Pandora Filmverleih/aus Blickpunkt Film (gekürzt)
(aus Berichterstattung vom Filmfestival Cannes 2002)
Da ist die Mischung zwischen Melancholie und coolem Rock, da sind
die satten, an Technicolor
erinnernden Kaurismäki-Farben, da ist die schweigsame Lakonie,
in deren Leerstellen Platz für ein ganzes Philosophiegebäude
wäre. (Die Zeit)
Vieles zugleich, aber nie halbherzig, sondern stets voll Leidenschaft.
Kritik an der Jeder-frisst-
Jeden-Ökonomie und Ermutigung zur Existenzgründung.
Und
zu der unvergleichlichen Kati Outinen hat Kaurismäki endlich
einen würdigen Nachfolger für den früh verstorbenen
Matti Pellonpää gefunden, den stoischen Markku Peltola:
Robert Mitchum lebt und dreht jetzt in Finnland. (Die Welt)
Das alles hat Kaurismäki nicht inszeniert, er hat es mit der
Kamera gemalt. (FAZ)
Kaurismäkis zärtlichster und reifster Film
ohne falsche
Gesten und Sätze, aber mit Sinn für den
leisen Stolz zwischen den Menschen und mit Sinn für Scham. In
Cannes avancierte dieser Film, der sein Publikum entführt, erheitert,
bewegt und streichelt, sofort zum Favoriten für die Goldene Palme.
"Der Mann ohne Vergangenheit" ist europäisches Autorenkino
vom Allerfeinsten. (Der Tagesspiegel)
Kaurismäki ist ein Schutzpatron der Hoffnungslosen. (Süddeutsche
Zeitung)
Eine überhaupt nicht elende Geschichte der Würde und der
Hoffnung. (Stuttgarter Zeitung)
Eine bizarre und poetische Komödie über Existenzen am Rand
der Gesellschaft. (BR - KinoKino)
verbindet diesmal all das, was Kaurismäki seinem Publikum
zu sagen hat, zu einem einzigen, wundervollen Film. (ZDF-ARTE)
Ein Wunder an poetischer Imagination, ein Märchen von vollendeter
Schönheit, ein Film des Anmuts und der Würde, eine Ballade
über Solidarität unter den Erniedrigten und Beleidigten
und in seinen glänzend leuchtenden Primärfarben ein Muster
opulenter Farbdramaturgie. (Blickpunkt:Film)
Aus dieser klassischen Ausgangssituation der Amnesie, des ausgeschlossen
seins, macht Kaurismäki wieder ein Meisterwerk des stillen Humors.
Kati Outinen als Heilsarmee-Dame ist umwerfend
Ein tiefgründiger,
komischer Film. (programmkino.de) |