Berlin,

Schildkröten können fliegen

Am Ende des Films versteht man, dass die Vergangenheit bitter ist,
dass die Gegenwart bitter ist
und die Zukunft einzig von einem selbst abhängt!

Was ist normal?

Es gibt eine Genrebezeichnung, die nennt sich Antikriegsfilm. In der Regel spielen dort Männer die Hauptrolle und losgelöst von dem kulturellen, zeitlichen oder religiösen Hintergrund kämpfen und sterben diese besagten Männer für die richtige Sache. Es ist müßig, diese Filme auch noch aufzuzählen. „Schildkröten können fliegen" erzählt er von der schwächsten Gruppe innerhalb eines jeden Krieges, den Kindern. In diesem Falle den kurdischen Waisenkindern in einem irakischen Dorf nahe der Grenze zu Iran und der Türkei. Bahman Ghobadis Film erzählt ohne Umwege die Geschichte von seelisch und körperlich verkrüppelte Kinder ohne Arme und Beine, blind und vergewaltigt. Sein Stil erinnert zeitweise an den Neorealismus und da es um Kinder geht, bleibt es auch nicht aus, das man ab und zu, trotz aller Ausweglosigkeit, eine kindliche Heiterkeit spürt. Am Ende des Films werden einem die Helden der Antikriegsfilme nicht mehr normal vorkommen (falls sie das je waren), der Drang der Kinder ihre Zukunft zu gestallten, kommt einen da schon eher normal vor... MMM/AS





 Erster Kinofilm aus dem Irak

„Satellit“ ist dreizehn Jahre alt, technisch begabt und selbstbewusster Anführer einer Bande kurdischer Flüchtlingskinder. Sie sammeln Landminen auf wie Feldfrüchte, um sie als "second-hand"-Kriegsgerät weiter zu verkaufen. Damit verdienen sie ihren Lebensunterhalt. Explosionen sind an der Tagesordnung und viele der Kinder sind verstümmelt. Als das geheimnisvolle Mädchen Agrin mit ihrem blinden Sohn Digah und ihrem verstümmelten Bruder Hengow in dem Flüchtlingslager Station macht, verliebt sich Satellit in sie. Er muß mit ansehen, wie der blinde Digah in einem Minenfeld umherirrt, und rettet den Kleinen - seine Liebe zu Agrin ist stärker als die Angst um das eigene Leben.


 Regie Bahman Ghobadi

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Bahman Ghobadi wurde 1968 im iranischen Kurdistan in dem Dorf Baneh geboren, wo auch sein erster Spielfilm "ZEIT DER TRUNKENEN PFERDE" spielt. In einer schwierigen Kindheit, geprägt von Kriegsjahren, wurde seine Heimat mehrfach von den Irakern bombardiert. Viele Verwandte des jungen Bahman kamen dabei ums Leben, und diese Erinnerungen gruben sich tief in sein Gedächtnis ein. 1988 schloss er sich in Sanandaj einer Gruppe junger Filmliebhaber an, und gemeinsam drehten sie die ersten Kurzfilme. 1993 zog er nach Teheran, um Film zu studieren. Schon bald gab er das formale Studium auf, um selbst Kurzfilme zu drehen und als Regieassistent an anderen Filmen mitzuwirken.


Sein erster Langspielfilm, auch die erste Produktion aus kurdischer Hand, ZEIT DER TRUNKENEN PFERDE wurde weltweit auf vielen Festivals preisgekrönt und erhielt 2000 in Cannes gemeinsam mit DJOMEH von Hassan Yektapanah die Caméra d'Or für den besten Debütfilm.


 Anmerkungen des Regisseurs


Minen
In meinem Film besteht die Arbeit der Kinder darin, Landminen zu finden, um sie danach zu verkaufen. Obwohl ich nicht weiß, seit wann Kurdistan vermint ist, erinnere ich mich noch sehr genau daran, dass mir sowohl meine Großmutter als auch meine Mutter Geschichten von Landminen und jenen, die ihre Opfer wurden, erzählten. Seit der Erfindung von „Antipersonenminen“ war und bleibt weiterhin Kurdistan eines der am meisten betroffenen Länder. Die nordamerikanischen und europäischen Industriellen verkauften sie an Diktatoren wie Saddam Hussein, die sie im ganzen Land verteilten. Ich glaube, dass es noch sehr lange dauern wird, sie zu entfernen. Jeden Tag, jede Stunde sterben Unschuldige oder werden durch Minen verstümmelt. Es gibt sogar kurdische Familien, die ihren neugeborenen Kindern den Namen von Minen geben.

Die Kinder und der Krieg
Die Hauptdarsteller meines ersten Spielfilms "ZEIT DER TRUNKENEN PFERDE" waren Kinder, und dass ich darauf zurückkam, mich auf sie zu konzentrieren, war nichts Willkürliches: Ich hatte Lust, einen Film über meine Vergangenheit zu realisieren, aber als ich zwei Wochen nach Beginn des Krieges der USA gegen den Irak zur Premiere meines Films "VERLOREN IM IRAK – LIEDER AUS MEINEM MUTTERLAND" in Bagdad war, sah ich viele Gräuel im Leben der Leute, und besonders in dem der Kinder, welche stets die ersten Opfer sind, und um die sich niemand kümmert. Der Fall eines verstümmelten Jungen bewegte mich. Ich wollte einen Film gegen den Krieg machen. So kehrte ich also zurück, um mit den Kindern zu leben, um mich ihnen näher zu fühlen. Später beabsichtigte ich, die Erfahrungen zu rekonstruieren, die sie durchgemacht hatten.



Krieg via Satellit
Im Film versuchen alle Darsteller, Informationen über den nahenden Krieg via Satellit zu erhalten, obwohl sie die Sprachen der vom Satelliten übertragenen Programme nicht verstehen, und die gezeigten Bilder ihren Überzeugungen zuwiderlaufen. Schließlich bekommen sie die gewünschten Informationen durch die Vorhersagen eines verstümmelten Kindes. Dies ist meiner Meinung nach der Tatsache geschuldet, dass die großen Medienunternehmen in der Hand von Interessengruppen sind, die alle Individuen als bloße Statisten betrachten und darstellen. Diese Interessengruppen mit ihren Konzernen und Kriegen benutzen uns wie Spielzeuge und zwingen uns ihren schmutzigen Krieg auf, um noch mehr Geld zu verdienen. Angesichts der Situation, in der sich der Irak befindet, und dem daraus resultierenden Medienecho in der ganzen Welt, ziehe ich jede Form von Information in Zweifel, einschließlich der Zeitungspresse.

Die Schauspieler
In Kurdistan gibt es keine Schauspieler, weil das Medium Film noch eine neue Kunst ist. Obwohl ich keine professionellen Schauspieler zur Verfügung habe, arbeite ich mit meinen Laien-Darstellern, als wären sie professionelle Schauspieler, und führe sie in einer Weise, dass sie in die Persönlichkeit ihrer Rolle schlüpfen können.



Parallele Entwicklung
Die Geschichte wird aus der Perspektive von zwei verschiedenen Charakteren entwickelt, weil es so im Drehbuch steht. Ich wollte eine Art Collage machen und mich von den iranischen Filmen absetzen. Ich wollte, dass der Junge Satellit die Leitfigur ist, in der die verschiedenen Elemente der Geschichte vereint sind. Am Ende des Films versteht man, dass die Vergangenheit bitter ist, dass die Gegenwart bitter ist und die Zukunft einzig von einem selbst abhängt! Die mächtigen Ausländer haben nicht vor, ein Paradies für uns zu schaffen. Sie beuten uns aus, um herrliche Orte für sich selbst zu errichten.

Stadt und Land
In meinen Filmen spreche ich stets vom provinziellen Leben und von den Leuten des Landes, weil mir das urbane Leben nie gefiel. Sechs oder sieben Monate im Jahr verbringe ich in Kurdistan, mitten in der Provinz. Ich höre Musik, mache Fotos oder Filme. Wie auch immer, ich habe bereits ein Drehbuch mit einer Geschichte, die in der Stadt spielt. Es ist dynamisch, mit einer Atmosphäre des magischen Realismus.


Preise/Auszeichnungen


55. Internationale Filmfestspiele Berlin „Friedensfilmpreis“ „Lobende Erwähnung“ der 14plus Sektion 52. San Sebastian Filmfestival, Spanien “Goldene Muschel” für Bester Film “Jury Preis” für das beste Drehbuch 40. Filmfestival Chicago, USA "Silberner Hugo – Jury Spezial Preis" 33. Festival des “Neuen Kinos" Montréal, Kanada „Radio-Canada Publikumspreis“ 28. Internationalen Filmfestival Sao Paulo, Brasilien "Spezial - Publikumspreis" 5. Filmex Filmfestival Tokio, Japan "Spezialpreis der Jury" "Agnès B. Publikumspreis" Asiaticafilmmediale Filmfestival Rom, Italien "Spezial - Publikumspreis" 19. Isfahan Kinderfilmfestival, Teheran, Iran „Hauptpreis im Internationalen Wettbewerb“ "Tafel für den besten Regisseur" "Spezialpreis der Jury für Iranisches Kino" “Bester Spielfilm” der internationalen Kinderjury „Bester Spielfilm“ der iranischen Kino-Vereinigung


CAST


Agrin .........................................................................Avaz Latif
Satellit ...............................................................Soran Ebrahim
Pashow Saddam ...............................................Hossein Feysal
Hengov Hiresh ..................................................Feysal Rahman
Digah Abdol ........................................................Rahman Karim
Shirkooh .....................................................................Ajil Zibari

STAB


Regie und Buch.................................................Bahman Ghobadi
Kamera...............................................................Shahryar Assadi
Ton.....................................................................Bahman Ardalan
Schnitt.............................................................Geranaz Moussavi
Tonschnitt........................................................Reza Asgar Zadeh
Mischung....................................Masoud Behnam, Hamid Naghibi
Musik.................................................................Hossein Ali Zadeh
Produktionsleiter..................................................Hamid Ghavami
Regieassistenz.........Shahram Shah Hosseinie; Jalal Saed Panah
Mitarbeit am Buch.......Mohammad Reza Kateb. Sepideh Shamlou
Kameraassistenz: Davoud Amiri

Kinostart: 05. Mai 2005 Verleih der Mitosfilm
Eine Produktion der Mij Film, Iran / Irak 2004 Laufzeit: 98 Minuten, Format: 35 mm / 1:1, 85, Ton: Dolby Digital
Kurdisch mit deutschen Untertiteln


Links zum Film

http://schildkroetenkoennenfliegen.de
http://www.filmtage-augsburg.de/tuf_auchschildkroeten.php
http://www.mijfilm.com/
"10 Kinos für 40 Millionen Menschen"von Ariana Mirza  10.03.05 DW
http://www.medico.de

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