Berlin,
 

Solino

Interview mit MORITZ BLEIBTREU & BARNABY METSCHURAT


Eine Geschichte aus einem anderen Kulturkreis, zum Teil in einer fremden Sprache gedreht -- was hat Sie daran gereizt?

Barnaby Metschurat: Die Frage beinhaltet schon die Antwort. Vorbereitungen, die Dreharbeiten,
einfach alles an diesem Projekt war eine Entdeckungsreise. Und da ich ein großer Optimist bin,
habe ich mich gerne in das Abenteuer gestürzt. Beim ersten Lesen – auf einem Computer, als
E-mail – begriff ich nur, dass dies eine großartige Geschichte ist. Erst später, nach wiederholtem
Lesen, wurden mir mit einem Mal die Tragik, Komik und das absolut Lebendige an dieser
Familie bewusst, und ich habe am Schluss bitterlich geweint.

Moritz Bleibtreu: Fatih gab mir das Drehbuch kurz nach den Dreharbeiten zu Im Juli.
Ich wollte von Anfang an Giancarlo übernehmen, weil es eine der schönsten Rollen ist, die ich je
gespielt habe. Denn die Figur hat alles: Sie ist wahnsinnig psychisch, voller Emotionen
und Widersprüche. Er ist einer, der das Maul nie zukriegt, aber mit sich selbst nicht klar kommt
und ständig Scheiße baut, aber das Herz auf dem rechten Fleck hat. Er ist einer, der immer
kämpft, aber tief in seinem Inneren ein ganz Zarter und Lieber ist. Er hat nie gelernt, sich
selbst zu akzeptieren, und vergleicht sein Leben stets mit dem von Gigi.

Eine Art zerbrechlicher Macho...

Moritz Bleibtreu: Ja, vielleicht kann man es so ausdrücken. In der Figur steckt unheimlich
viel Universelles, weil es viele gibt, die sich stets nur über andere definieren, oft ganz ohne
rationalen Grund. Außerdem ist Giancarlo ein Beispiel dafür, wie das Leben so spielt und dafür,
dass man in den Momenten, wo man mit seinen Entscheidungen selbst sein Leben bestimmen
und in eine neue Richtung führen könnte, auch Scheiße bauen kann.
Barnaby, was hat Sie an der Figur des Gigi gereizt?

Barnaby Metschurat: Gigi ist der Jüngste in der Familie – süß, schmächtig, sympathisch.
Deswegen mögen ihn alle, als Kind hat er es am Leichtesten in der Familie. Als Junge spürt er
zum ersten Mal die Leidenschaft fürs Bildermachen in sich, noch sehr naiv natürlich. Aber
dieser Traum, Filme zu drehen, treibt ihn auch als Teenager voran, er weiß, dies ist sein
Lebenstraum, und zum ersten Mal kommt es zum Konflikt, zum ersten Mal muss er innerhalb
seiner Familie für etwas kämpfen – dafür, sein Leben so zu leben, wie er es will und nicht so,
wie sein Vater es geplant hat. Er lernt, dass er für seinen Traum bereit sein muss, Opfer
zu bringen: Die Reise nach Italien, weil er für seine Mutter da sein muß und auch der
spätere Entschluß, in Italien zu bleiben und die Trennung von Bruder und Vater in Kauf
zu nehmen.

Wie schwer ist es Ihnen gefallen, auf Italienisch zu spielen?

Moritz Bleibtreu: Ich habe ja nun anderthalb Jahre in Rom und Venedig gelebt, dort die
Schauspielschule besucht und eine Freundin gehabt. Ich kann also Italienisch. Barnaby musste sich da, glaub ich, mehr quälen. Aber ich finde es konsequent, dass er nicht so fließend spricht, weil Gigi ein anderes Gemüt hat als Giancarlo, der sich über seinen südländischen Machismos definiert, während Gigi sich prinzipiell eher als Deutscher fühlt. Außerdem war er jünger, als er nach Deutschland kam. Ich habe zum Beispiel viele türkische Freunde, die sich in der Türkei nicht trauen, Türkisch zu reden, weil sie so einen fetten deutschen Akzent haben. Fatih geht es im Prinzip ja auch so, weswegen Solino eben auch von seiner persönlichen Geschichte erzählt, wobei ihm die Tatsache, dass es um eine italienische und keine türkische Familie geht, mehr Distanz erlaubt hat.

Barnaby Metschurat: Mir war klar, dass es schwierig wird. Ich hatte keinerlei
Italienisch-Vorkenntnisse. Beim Spielen zu improvisieren ging deswegen erst mal gar nicht. Mein Dialog-Coach Alessandro büffelte jeden Tag mit mir, und wie Gigi fiel mir
das Italienisch zum Ende hin immer leichter.

Moritz Bleibtreu: Das passt ja auch zu Gigis Rolle. So haben wir am Set die Szene
entwickelt, in der Ada ihm beibringt, richtig »Amore« zu sagen.

Barnaby Metschurat: Bei den 1974er-Szenen in Italien konnte ich sehr viel mit meinen
eigenen Gefühlen und Erfahrungen arbeiten, denn es gab viele Parallelen. So wie Gigi als
Jemand, der die Sprache nicht richtig beherrscht, als eine Art Fremder in seine ursprüngliche
Heimat zurückkehrt und von allen sofort das Gefühl vermittelt bekommt, zur Familie zu
gehören, fühlte auch ich mich dort gleich herzlich aufgenommen. Jeden Morgen hat mich zum
Beispiel ein alter Mann aus dem Dorf, der, glaube ich, für die Absperrungen zuständig war,
in den Arm genommen und gesagt, wie schön es ist, dass ich da bin... Mein größter Wunsch ist es eigentlich, Solino zusammen mit dem ganzen Dorf im dortigen Freiluftkino zu schauen!

Verbindet Sie persönlich etwas mit dem Ruhrgebiet?

Barnaby Metschurat: Dieser Film! Die Dreharbeiten haben einen starken Eindruck bei mir
hinterlassen. Wir hatten ja immer viele Zuschauer am Set, und am meisten hat mir die
Ehrlichkeit der Leute dort imponiert. Die sagen dir geradeaus, was Sache ist, statt erst schön
zu tun und dann schlecht hinter deinem Rücken über dich zu reden. Die kommen gleich auf
den Punkt, wenn ihnen was nicht passt. Das macht es viel einfacher Konflikte zu lösen. Ich
glaube, wenn dort ein Film à la Schimanski gedreht wird, können sie sich leicht mit Helden
und Milieu identifizieren, aber wir sind Ihnen wahrscheinlich sehr obskur vorgekommen mit
unseren 70er-Jahren-Klamotten, den langen Haaren und bunten Hemden.

Moritz Bleibtreu: Ich hatte vorher so romantische Vorstellungen vom Ruhrpott, von wegen
Rote Erde, Kumpel unter Tage. Aber wenn man dort dreht, lernt man die Realität kennen:
Wie aus einem Schornstein hundert Meter von dir plötzlich pechschwarzer Rauch aufsteigt
und wie dreckig dadurch die Luft ist. Wie man abends schwarze Hände hat und es kein
sauberes Auto am Straßenrand gibt. Vor allem aber hat sich der Zusammenhalt der Menschen
heute verändert. Früher haben sie sich über einen gemeinsamen Beruf, eine gemeinsame Aufgabe definiert. Da gab es sicher auch schon Armut, aber keine Verwahrlosung wie heute. Der Stadtteil Burghausen, in dem wir gedreht haben, ist fast eine Art Ghetto, wo man in den
Läden Toilettenpapierrollen einzeln kaufen kann. Ungelogen! Gerade, wenn man aus Süditalien kommt, muss man von dem Kontrast und von diesem Gestank schockiert sein. Und umgekehrt versteht man, warum die Deutschen davon träumten, nach Mallorca zu reisen ...




Unterschwellig erzählt »Solino« ja auch von der Sehnsucht
der Deutschen nach Italien und italienischer Lebensweise.

Das Restaurant ist ja -- zumindest in den ersten zehn Jahren --jeden Tag proppenvoll.

Moritz Bleibtreu: Ja, es geht in dem Film natürlich auch um das Verhältnis von
Deutschen und Italienern. Es gibt ein italienisches Sprichwort, das geht, glaube ich, so:
Der Deutsche liebt den Italiener, aber er respektiert ihn nicht.
Der Italiener respektiert den Deutschen, aber er liebt ihn nicht.

Wenn wir schon bei Klischees sind: Man hat von italienischen Familien
ja die Vorstellung, dass sie auf Gedeih und Verderb zusammenhalten,
in diesem Film jedoch zerbricht sie.

Moritz Bleibtreu: Weil der Druck, den die deutsche Gesellschaft ausübt, zu groß ist.
Kein anderes Land verlangt von seinen Einwanderern, sich so sehr anzupassen und die eigene
Identität aufzugeben. In Hamburg-Altona oder Berlin-Kreuzberg findet man noch türkische
Kultur, aber sonst nirgendwo in Deutschland. Wenn Menschen aber in dem Alter von Rosa nach
Deutschland kommen, können sie sich nicht mehr verändern – und warum sollten sie auch.
Ihre Kinder aber wachsen hier auf. Wenn sich also dann die Frage stellt, wo und was
Heimat ist, nennen die Kinder wahrscheinlich Deutschland, während es für die Eltern noch
immer die Türkei ist. Viele Familien sind darum nicht nur innerlich zerrissen, sondern
tatsächlich auch räumlich, weil die Dritte Generation nur selten in die Türkei zurückgeht, die
Eltern aber schon. Ich habe viele Freunde, die das betrifft, ich bin ja in Hamburg fast bei
türkischen und griechischen Familien aufgewachsen, weil alle meine Freunde Ausländer
waren und ich dort ein und aus ging.

Und bei Ihnen?

Barnaby Metschurat: Ich komme ja aus Berlin, wohin es jeden Zweiten ja auch aus allen
möglichen Himmelsrichtungen verschlagen hat. Das ist Alltag für mich.
Aber damals, zu der Zeit und an dem Ort, an dem die Geschichte spielt, war das
alles etwas Besonderes, ungewöhnlich und ungewohnt.

Was bedeutet für Sie persönlich Heimat?

Barnaby Metschurat: Heimat ist für mich kein Ort, sondern ein Zustand. Bei meiner Mutter,
die mich liebt. Bei der Frau, die ich liebe. Die Plätze, Freunde und vielen Rituale,
die ich bisher im Leben kennen gelernt habe.


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